Stephan Hallmann - Photographien
Nichts, nicht der Frühling, nicht die Sonne Italiens kann ihn der Stadt nehmen, ihren morbiden Charme. Den Pas de deux von Pracht und Verfall, der die Fas-zination Venedigs ausmacht und wie ein Magnet
Millionen von Besuchern anzieht. Das prächtige Far-benspiel des Carnevale di Venezia, das Venedig zu einem einzigen Maskenball werden lässt, erscheint da nur wie das tragikomische Vorspiel des angekündigten Todes der Lagunenstadt. Und doch, als ob es möglich
wäre, dem trüben Dezemberwetter noch mehr Tristezza hinzuzufügen, dem Nebel und der bitteren Kälte, welche die Fäulnis der Fundamente noch rascher aus der Tiefe der Lagune die Mauern der Palazzi hochkriechen lässt: der "Maskenball" von Covid-19 schafft es.
Zwei Jahre Corona haben das Antlitz der Welt verändert, als ich mich an den Ort aufmache, an dem die Maske als Acces-soire ausgelassener Fröhlichkeit gilt.
Hotelzimmer in Venedig waren selbst zu Silvester plötzlich wieder zu haben. Die Lagunenstadt schwappt vergleichs-weise ruhig ins neue Jahr. Die üblichen Touristen aus China, Japan Russland und Amerika bleiben weitgehend aus.
Ein paar Europäer mehr, vor allem Franzosen erweisen der Serenissima dafür ihre Reverenz. In den Restaurants, im Hotel, in der Oper wird man erstaunlich oft mit „Bonjour messieurs“ angesprochen. Masken beherrschen die Straßen, Cafés und Edelboutiquen der Stadt. Aber es sind diesmal andere als die schönen klassischen "maschere veneziane".
Das große Feuerwerk wurde abgesagt. Es wäre wieder einmal die Krönung des Übegangs vom alten zum neuen Jahr gewesen. Mit hunderten von Booten im Bassin von San Marco, wo sich der Canale Grande zur Lagune öffnet und einem ebenso festlich wie krachend erleuchteten Himmel über den Kuppeln der Basilica di Santa Maria della Salute und San Giorgio Maggiore. Dank Corona bleibt es beim
Nebel, einem für diese Zeit gespenstisch leeren Markusplatz, stillen venezianischen Gassen und Kanälen.
Venedig, das bedeutet Gondeln. Und Gondeln bedeuten Venedig. Also darf es eigentlich nicht verwundern, dass selbst bei Winterwetter und einer vom Kondenswasser des Nebels nasskalt erstarrten Luft Gondeln sich gemächlich durch die Kanäle schieben. Für deren dick vermummte Passagiere wäre Venedig ohne diese Fahrt nicht Venedig. Allerdings sind es weniger Gondeln als normal. Weit weniger als in einem normalen Winter, ohne staatlich verordneter „Mund-Nasen-Maske“ und „Green-Pass“. Schwierige Zeiten für den begehrten und geschützten Beruf des Gondoliere. Aber, was wäre Venedig ohne ihn und die dunkle Silhouette seines mondsichelförmig geschwungenen eleganten Frachtkahns.
© Stephan Hallmann