UNGARN 2015 - Fluchtziel Europa

Wegen eines brutalen Krieges, der ihr Land verwüstet und dessen Opfer vor allem die Zivilbevölkerung ist, verlassen Millionen Syrer ihre Heimat.


Doch die "Flüchtlingkrise" des Jahres 2015 ist, langfristig gesehen, keine Krise, sondern nur der massive Beginn einer Fluchtbewegung, die Euro-pa in der Zukunft vor große Probleme stellen wird. Sie ist neben dem Kli-mawandel und selbstverschuldeten Problemen von Entwicklungsländern auch ein Ergebnis unseres eigenen Versagens. 



Flüchtlingsfamilie in einem Auffanglager in Röszke, Ungarn im August 2015


                         Afghanistan, Irak, Syrien... Probleme einer "fernen Welt"?



Haben wir wirklich geglaubt, in unserer viel zitierten globalisierten Welt, wir könnten weiter-machen wie bis-her? Die Früchte aus aller Welt ernten - in Form von billiger Arbeit und Rohstoffen aus Afrika und Asien - aber uns sonst alles andere vom Hals halten?


Statt der Glasperlen, die europäische "Entdecker" früher gegen die Schätze der "Naturvölker" eintauschten - sofern sie sie nicht einfach raubten und die "Eingeborenen" versklavten -, ist unsere heutige Handelspolitik nicht allzu viel weniger verheerend: wir überschwemmen die Märkte der Länder Afrikas mit billigen Rest- und Abfall-produkten, die ihnen kaum Chancen lassen, mit ihren eigenen landwirtschaftlichen oder industriellen Waren auf dem Markt mit-zuhalten. Oder wir fischen ihnen einfach das Meer vor ihrer Nase, etwa vor der westafrikani-schen Küste leer.


Haben wir wirklich darauf vertraut, dass die Armen und Notlleidenden in der südlichen Hemisphäre auf ewig bleiben, wo sie sind, wenn unserere geopolitischen Stellvertreterkriege ihre Länder verwüsten, unsere jahrhun-dertelangen Klimasünden ihre Böden und Gärten verdorren lassen oder in Unwettern wegspülen?


Wir tragen also nicht nur historisch, sondern auch mit unserer aktuellen Politik einen gewaltigen Teil der Ver-antwortung für die Flüchtlingsströme gen Norden, in unsere bisher so heile Welt. Die "Flüchtlingskatastrophe" ist hausgemacht, nicht nur in den Ländern Afrikas und Asiens selbst, auch von Europa und den USA.

In Syrien zwingt das Terrorregime des Bashar al-Asad die syrische Bevölkerung zur Flucht. Ohne die Einmischung von außen, die Unterstützung durch russische Bomber und Raketen in der Luft und Söldner in den Diensten Russlands und des Iran würde es das Horror-Regime längst nicht mehr geben.


Im Irak sind es das blutige Chaos und der Bürgerkrieg zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen, die Menschen zur Flucht treiben. Ausgelöst durch die Zerschlagung des Terrorstaates Sadam Husseins durch die Invasion der USA, die aber weniger auf demokratische Strukturen für die Menschen in dem Land abzielte, als auf die Sicherung der Ölquellen des Irak und die Sicherheit Israels.


Im Iran, ist es die menschenverachtende Brutalität einer rückständigen und korrupten Mullah-Kaste und ihres Sicherheitsapparates, den "Revolutionswächtern": eine der Spätfolgen britischer und auch amerikanischer Ein-mischung, die in der friedlichen demokratischen Entwicklung des Landes eine Gefährdung ihrer Interessen sah und das prowestliche "Schah-Regime" installierte.


In Afghanistan blicken wir mittlerweile auf zwei verlorene, blutige Kriege, die ausländische Mächte – darun-ter auch Deutschland – führten, das Land total verwüsteten und es islamistischen Eiferern in die Arme trieb.


Von Afrika in seinem "Schicksal" zwischen kolonialer Vergangenheit und vernachlässigtem Hinterhof europä-ischer Politik, die Armut und Gewalt eher zementiert denn beheben hilft, war bereits die Rede.

 

Wer glaubt, die Fluchtbewegungen aus diesen Regionen und Ländern sei allein ihr Problem, der macht es sich zu einfach.


Und noch

ein Blick,

etwas genauer


Krieg in Afghanistan


Afghanistan ist ein Land, zu dessen Verwüstung der Westen entscheidend beigetragen hat. Er hat die sowjetischen Besatzer, die bis 1989 im Land waren, dort mit Hilfe afgha-nischer Krieger, den Mudscha-heddin, bekämpft. Nicht aus Nächstenliebe für das afgha-nische Volk (wo greifen wir denn heute ein, wenn die Bevölkerung massiv Gewalt und Terror ausgesetzt ist?!). Afghanistan war für uns ein temporäres Schlachtfeld im globa-len Machtkampf mit der damaligen Sowjetunion. Als die sowjetischen Truppen abzo-gen, verlor der Westen sein Interesse an dem zerstörten Land und überliess es sich selbst. Die amerikanische Botschaft war praktisch für Jahre geschlossen.

 

Und was haben wir bei unserer Bestrafungsaktion gegen und in Afghanistan (nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York und Washington) denn anders ge-macht als damals die sowjetischen Besatzungstruppen? Nichts!  Wir lassen (erneut) ein ausgebombtes Land im Chaos zurück. Viel Blut ist geflossen und viel böses Blut hinzu-gekommen. Ein aggressiver, gewaltbereiter Islamismus hat sich am Hindukusch einge-nistet, nachdem er von westlichen Geheimdiensten mit Hilfe Pakistans dort künstlich lanciert worden war, als Waffe im Kampf gegen die sowjetischen Besatzer. Wir, der Westen haben die Mudschaheddin erschaffen und ihre Nachfolger, die Taliban zu dem gemacht, was sie sind! 

 

Unser politisches Bewusstsein und unser Verständnis der Geschichte reichen nicht viel weiter als bis zu unserer Nasenspitze. Ich habe vor nicht zu langer Zeit einen bekannten Fernsehjournalisten von einem „feigen Hinterhalt“ der Taliban gegen unsere Soldaten in Afghanistan reden hören. Als noch die Sowjetarmee Besatzungsmacht in Afghanistan war, da feierte man im Westen solche Hinterhalte, bei denen russische Soldaten star-ben, als „Freiheitskampf des afghanischen Volkes“.  Und nicht nur das, auch die Waffen für jene Hinterhalte gab der Westen damals den Mudschaheddin in die Hand.

 

Krieg im Irak

 

Im Irak hat die demokratische westliche Welt gleich zweimal katastrophal versagt und ihre Prinzipien verraten. Der Angriff auf den Irak wurde mit fabrizierten Lügen begrün-det, wie man heute eindeutig weiß. Und betrieben von alten bösen Männern wie Dick Cheney und Donald Rumsfeld, die schon alles in der Welt erreicht hatten, Reichtum und politische Macht, und nun ein geostrategisches „Monopoly“ auf Weltebene spielen und die politische Landkarte des Nahen und Mittleren Ostens mit Gewalt verändern wollten. Sie erteilten der klugen Politik eines George Bush Sr. eine Absage, der den Diktator Saddam Hussein im ersten Golfkrieg nur militärisch geschlagen und in seine Schranken verwiesen hatte, und brachten George Bush Jr. dazu, sich auf ein verhängnisvolles Irak-Abenteuer einzulassen. Der Anschlag vom 11. September 2001 half ihnen, den zunächst zögerlichen jungen Präsidenten Bush zu überzeugen. Deutschland hat dabei dank eines hellen Moments nicht mitgemacht.

 

Aber nicht genug damit. Vor allem die Art und Weise, wie die Amerikaner im Irak vor-gingen, hat alles zunichte gemacht, was zu einer demokratischen Entwicklung hätte führen können. Die US-Armee sicherte Ölfelder, aber überliess Krankenhäuser, Schulen, Museen, ja überliess die Menschen dem Chaos. Ärzte mussten sich aufteilen, wer ope-riert und wer mit der Kalaschnikow in der Hand vor der Tür Wache hält, um plündernde und marodierende Banden fernzuhalten. Eine bestehende Ordnung wurde zerstört, ohne den Menschen des Irak die Sicherheit einer neuen Ordnung zu gewähren, ohne ihnen Inseln bürgerlicher Rechtsstaatlichkeit auch nur ansatzweise zu bieten. Beispiels-weise mit ein paar Soldaten oder Panzern auch vor öffentlichen Einrichtungen. Die Parteigänger und Beamten des alten Regimes wurden zudem bis hinunter zum klein-sten Mitläufer vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen, der Grundstein für die Vertiefung der gesellschaftlichen Konflikte, für Gewaltexzesse und die Auflösung des irakischen Staates gelegt.

 

Krieg in Syrien

 

In Syrien dagegen haben sich die USA, hat sich Europa vornehm zurückgehalten. Hat zugesehen, wie ein übles Regime seine eigene Bevölkerung auf barbarische Weise zu Tausenden umbrachte, qualvoll zu Tode folterte und mit schwerem Kriegsgerät be-kämpfte. Eine Schuld, die auf einer Ebene steht mit dem Wegschauen beim Völkermord in Ruanda und der feigen Untätigkeit beim Massaker an unschuldigen Zivilisten in Sre-brenica. Von dieser Schuld wird sich Europa nie mehr reinwaschen können.

 

Inzwischen sind weit über 400.000 Syrer tot. Die Menschen verlassen, wenn sie können, die Killing Fields von Aleppo, Damaskus und anderswo. Dabei wäre es so leicht gewe-sen, Asad Einhalt zu gebieten – lange bevor Terrormilizen wie der „Islamische Staat“ entstanden. Ein überschaubarer Flottenverband mit ein oder zwei Lenkwaffen-Fregat-ten, wie sie beinahe jeder europäische Staat mehrfach besitzt, hätten gereicht, eine Flugverbotszone zumindest über Aleppo und anderen grenznahen Gebieten Syriens aus sicherer Entfernung heraus zu etablieren, um es dem Asad-Regime zu verbieten, die Zivilbevölkerung dort weiter mit Fassbomben und Giftgas aus der Luft anzugreifen.


Und da ist die Feigheit des Westens, v.a. der USA, Russland die Stirn zu bieten. Als es begann, sich einzumischen und mit einem mörderischen Luftkrieg und schmutzigen Söldnerattacken seiner Wagner Group gegen die syrische Zivilbevölkerung Asad zu Hilfe eilt. Damals wäre das noch einfach gewesen: einem Russland gegenüber, das gerade erst vorsichtig versuchte, die Nasenspitze aus seiner ruhmlosen jüngeren Ver-gangenheit zu heben. Es hätte keinen bewaffneten Konflikt mit den technisch und organisatorisch haushoch überlegenen USA riskiert. Inzwischen hat Putin – nach erfolgreichem Test der Unentschlossenheit des Westens im Konflikt um die Krim – damit begonnen, in Syrien massiv aufzurüsten und dort eine russische Luftwaffenbasis zu errich-ten. Damit wäre die Lufthoheit über dem Schlachtfeld des Bashar al-Asad nun in der Tat kein Kinderspiel mehr.


In ihrem eigenen Land gab es keine Rückzugsgebiete für die Syrer auf der Flucht vor dem Krieg, weil der Westen „keinen Flächenbrand auslösen“ wollte. Nun ist der Flächenbrand da, samt „IS“- Terroristen und Hunderttausenden von Menschen auf der Flucht. Und die Regierungen, die ihre eigenen Prinzipien der "Responsibility to Protect" verraten, müssen ihrer Bevölkerung erklären, warum all die Flüchtlinge vor den Toren Europas stehen. Warum für Millionen von ihnen in Lagern in den Nachbarländern Syriens, in Jordanien, dem Libanon und Nordirak die Lebensmittel knapp sind. Also dort, wo man am unmittelbarsten eingreifen und frühzeitig humanitär hätte helfen können. Europa, das eben noch glaubte, wegen Griechenland an seiner Finanzpolitik scheitern zu müssen, ist dabei, sein wichtigstes Gütesiegel zu verlieren, das es nach dem letzten Weltkrieg so bewundernswert und einzigartig in der Welt hochzuhalten schien, seine Humanität.



Syrischer Flüchtling in einem Lager im Nordirak, August 2015

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