GAZA - Terror gegen Terror




I
ch habe während des Gaza-Konflikts 2014 für das deutsche Fernsehen von beiden Seiten berichtet, aus Israel und Gaza. Meine Aufnahmen entstanden beim Einmarsch israelischer Truppen nach Gaza im Juli 2014 und während mehrerer Feuerpausen im August 2014 in Shejaiyah, einem vom israelischen Militär völlig zerstörten Teil von Gaza-Stadt, in Beit Hanoun im Norden des Gazastreifens und in Khuza’a, einem Außenbezirk von Khan Yunis, im Süden von Gaza, in dem heftige Gefechte zwischen Israelis und Palästinensern stattgefunden haben.


Der Beginn des erneuten Gaza-Kriegs im Oktober 2023 unterscheidet sich durch das Ausmaß der Angriffe der Hamas von Gaza aus auf Israel und ihre Brutalität gegenüber Zivilisten in Israel. In diesem Sinne erleben wir gerade eine bisher ungekannte Stufe der Eskalation.



Es ist erschütternd mitanzusehen, wie die Debatte über den Gaza-Krieg in Deutschland von den ideologischen Lagern geführt wird. Von verbissenen Kritikern der Besatzungspolitik Israels, die nicht einzugestehen in der Lage sind, dass hier Terror, Mord und unakzeptable Gewalt gegen Zivilisten seitens der palästinensischen Hamas stattfindet. Und andererseits von den Vertretern der israelischen Staatsraison, die sich jeden Hinweis auf die Wurzeln und Ursachen der Gewalt verbitten und jede kritische Position dem Staat Israel gegenüber als "Relativierung" hinstellen.


Viele Menschen, die zwar zu der Schuld Deutschlands gegenüber seinen jüdischen Bürgern und den europäischen Juden stehen, vergessen eine besondere Verantwortung Deutschlands auch gegenüber den Palästinensern, für die die Verbrechen Deutschlands an den Juden Europas, der Holocaust, ohne eigenes Zutun zum Verlust ihrer Heimat und zu ihrer Vertreibung führten. Wir können deshalb unsere Verantwortung und unser Mitgefühl nicht einfach nur dem Staat Israel widmen, wie es zur deutschen Staatsraison erklärt wird. Unsere Verantwortung muss darüber hinausreichen und Frieden in Palästina einschließen.


Zwei
Texte, die 2014 in Israel unter dem Eindruck des Gaza-Kriegs entstanden sind, haben für mich auch heute noch Gültigkeit in ihren Aussagen über den "Nahost-Konflikt", der uns nun seit einem Dreivierteljahrhundert beschäftigt. "Gaza und der Palästinakonflikt", der eine und "Gaza inmitten von Parolen und Tränen" über die Schwierigkeiten, als Journalist mit diesem Konflikt und seinen Kriegen umzugehen, füge ich meinen Photographien bei.



Zentrum von Khuza'a im Bezirk Khan Yunis (im Süden von Gaza) mit dem Wasserturm und der zerstörten Moschee, 2014


             „Wir greifen keine Zivilisten an. Israel greift militärische Ziele an.“

                                                                                                                                                                                                                                                                Benjamin Netanyahu, israelischer Ministerpräsident am 07.08.2014                                               


Im Gegensatz zu den anderen besetzten palästinensischen Gebieten, der sogenannten Westbank bzw. Westjordanland, hat Israel den Gazastreifen vor Jahren geräumt, ohne sich allerdings darum zu kümmern, wie es den Menschen dort - zum großen Teil Flüchtlinge aus dem Gebiet des heutigen Israel - gelingen könnte, Strukturen einer zivilen Verwaltung aufzubauen. Man wollte "das Problem Gaza" (trotz der erbitterten Proteste jüdischer Siedler, die dort bleiben wollten) einfach loswerden und sich auf die "Erschließung" und jüdische Besiedlung des Westjordanlands konzentrieren. Radikale Palästinenser-Organisationen wie Hamas haben die Gelegenheit er-griffen und ihr Regime errichtet, nachdem Israel einen Zaun um Gaza gezogen hatte, um es sich selbst zu überlassen. Was folgte sind bisher fünf Kriege, die den Namen des schmalen Küstenstreifen tragen.


Der erste "Gaza-Krieg" fand 2008 statt. Vier Jahre später folgte 2012 der nächste. Nur zwei Jahre danach 2014 der dritte mit den bis damals verheerendsten Zerstörungen. Dann 2021 und nun im Oktober 2023 der bisher letzte und wohl verheerendste und am längsten andauern-de. Die in Gaza herrschende Hamas verfügte über weitaus größere Feuerkraft als in der Vergangenheit, schiesst tausende von Raketen nach Israel, die allein durch ihre große Zahl das israelische Raketen-abwehrsystem überfordern. Deshalb treffen diesmal mehr Geschosse Israel, richten Zerstörung an, töten Menschen. Und Hamas hat - von langer Hand geplant - einen Angriff in Israel durchgeführt, der bisher für völlig unmöglich gehalten wurde.


Mehrere Faktoren haben dazu geführt, dass der Hamas ein derart großangelegter Ausbruch aus Gaza und Angriff auf Israel gelingen konnte.


Die Absicht Israels, das von ihm besetzte palästinensische West-jordanland ganz zu annektieren und die in jüngster Zeit verstärkten Bemühungen, die jüdischen Siedlungen dort auszubauen, führten dazu, Armee-Einheiten, die für den Schutz der Grenze zu Gaza zuständig sind, ins Westjordanland zu verlegen. Israels Regierung wähnte den Gaza-Streifen sicher abgesperrt und richtete den Blick ganz auf die militärische Sicherung des Westjordanlandes. Hamas-Trupps konnten in großer Zahl weitgehend ungehindert über die Grenzsperren nach Israel eindringen und sich dort zeitweise völlig frei bewegen.


Geiseln zu nehmen, als Schutzschilde gegen die zu erwartenden israelischen Vergeltungsschläge und als Tausch"objekte" für Tausende von  Palästinensern in israelischen  Gefängnissen,  war sicherlich eines der Ziele  des  Angriffs  vom  7. Oktober. Vor allem aber sollte es ganz offenbar eine Demonstration der eigenen Macht sein. Zu zeigen, dass Israel nicht unverwundbar ist und die Hamas fähig zu solchen Schlägen. Um den Schrecken auf israelischer Seite ins Unermessliche




zu steigern, sind Hamaskämpfer oder der sie begleitende Mob wie eine barbarische Soldateska vor allem auch über israelische Zivilisten hergefallen und haben sie bestialisch niedergemetzelt oder zu Tode gefoltert.


Auch der Zeitpunkt war bewußt gewählt, genau 50 Jahre nach dem Jom Kippur Krieg Syriens und Ägyptens gegen Israel, den man in der arabischen Welt als gelungenen Überraschungsschlag gegen Israel, ja wie einen Sieg rühmt.


Natürlich ist auch die bessere  Bewaffnung der Hamas ein wichtiger Faktor. Vor allem aufgrund der Unterstützung durch den Iran, der die Hamas als Verbündeten sieht und mit Geld, vor allem aber mit Waffen ausrüstet. Auch wenn die oft zitierte Meinung, der "Iran stecke dahinter" m.E. eine Überbewertung der Rolle Irans bzw. Unterschät-zung der Hamas als bloßem Befehlsempfänger des Mullah-Regimes.


Durch die von den USA forcierte Annäherung zwischen Saudi Arabien und Israel drohten die Palästinenser vollends ins Abseits zu geraten. Für Saudi Arabien und andere arabische Staaten wurde es immer weniger eine Bedingung für normale Beziehungen mit Israel, die Rechte der Palästinenser einzufordern. Dieser für die Palästinenser schmerzliche "Freiedensprozess", in dem sie keine Rolle mehr spielen, dürfte mit dem neuen Gaza-Krieg und der Härte des israelischen Vergeltungsfeldzuges gegen die Menschen in Gaza erst einmal in weitere Ferne gerückt sein.


Was nun folgt, haben Israels Regierung und Streitkräfte bereits angekündigt. Israel schlägt mit seiner gewaltigen Übermacht zurück, einem Vielfachen an Feuerkraft und moderner Waffentechnik. 2014 gleichen weite Wohngebiete Gazas nach den israelischen Vergel-tungsschlägen einem Trümmerfeld. Damals hatten die wahllos auf Israel abgefeuerte Hamas-Raketen 6 Menschen in Israel getötet. In Gaza sterben 2.125 Palästinenser durch Israels Vergeltungsangriffe. Angesichts der besonderen Brutalität des Angriffs der Hamas dieses Mal und der nie dagewesenen Zahl von 1400 Toten auf israelischer Seite, ist die Strafexpedition und Vernichtungskampagne dieses Mal unvergleichlich viel massiver und totaler.


Zumal das erklärte Ziel heute ist, Hamas zu "beseitigen". Um an die unterirdischen Tunnel-Systeme der Hamas heranzukommen werden israelische Bomben und Granaten alles darüber stehende dem Erdbo-den gleich machen und dabei Tausende, wenn nicht zehntausende von Opfern unter der palästinensischen Zivilbevölkerung einkalkulieren. Hamas, die einen "Häuserkampf" begrüßt, weil dabei die militärische Überlegenheit Israels weniger ins Gewicht fällt, hat dem nur wenig entgegenzusetzen - ausser größere Verluste für Israels Armee, aber eben auch eine massive und unverhältnismäßig große Zahl an Opfern unter der Bevölkerung Gazas, die Hamas in Kauf nimmt.



Gaza und der

Ich verabscheue das rassistisch-antijüdische Geschrei von Hamas, ganz zu schwei-gen vom antisemitischen Bodensatz in Deutschland. Aber ich ertrage auch die offizielle Phrase vom "Selbstverteidigungsrecht" Israels in diesem Fall nicht, das seinerseits Tag für Tag aus purem Eigennutz Palästinenser enteignet, von ihrem Land vertreibt und auf sie schießen lässt.


Deshalb hier ein paar Bemerkungen, um mich von den Apologeten beider Seiten zu distanzieren, von denjenigen, die den Konflikt nutzen, um ihr rassistisch-anti-semitisches Süppchen zu kochen und denjenigen, die die militärische Großmacht Israel einseitig zum unschuldigen "David", zum Opfer stilisieren.


Niemand hat das Recht, mit Raketen auf zivile Ziele zu schießen. Das Hamas-Regime in Gaza nicht und die israelische Regierung auch nicht. Das aber tun beide. Hamas mit ihren primitiveren Mitteln auf Teufel komm raus. Und die "chirurgischen Schläge" israelischer Raketen und Artillerie gegen angeblich klar ausgemachte "Hamas-Ziele" im dicht bewohnten Häusergewirr Gazas sind ein Märchen. Beides sind eklatante Verletzungen der Menschenrechte. Und hinter beidem steckt zynisches Machtkalkül.

 

Die Hamas-Machthaber in Gaza wissen, daß sie mit ihren Raketenangriffen viele Palästinenser in ihrer Ohnmacht und Wut gegenüber Israel hinter sich versam-meln können. Und die israelische Regierung muß wissen, daß der tagtägliche Diebstahl palästinensischen Landes durch jüdische Siedler in den besetzten Gebieten den Boden bereitet, der die Wut, Ohnmacht und Verzweiflung hervor-bringt, die von Kräften wie Hamas für ihre Politik genutzt wird.

 

Palästinakonflikt

Die Friedensbemühungen in Israel/ Palästina werden seit Jahren von beiden Seiten ad absurdum geführt. Durch eine korrupte palästinensische PLO-Führung in der Westbank, die sich mit dem Status quo abgefunden hat, und - radikaler als die PLO - durch die Hamas-Führung in Gaza mit ihren Terrorstrategien gegen Israel. Vor allem aber durch eine israelische Regierung, die sich dank der Überlegenheit ihres Militärs ebenfalls mit dem Status quo abgefunden zu haben scheint und diesen durch ihr Un-rechtsregime in den besetzten Gebieten Stück für Stück zu ihrem Vorteil zu verän-dern sucht.

Vorbei die Zeiten, in denen die Welt bzw. die USA durch Androhung von Sanktionen beide Seiten zu den Friedensverhandlungen in Oslo gezwungen hatten. In Israel hat die Mehrheit der Menschen ihren Glauben an einen Friedensprozess verloren und verspürt auch angesichts massiver wirtschaftlicher Probleme kaum Lust, sich weiter dafür zu engagieren.

 

Umso mehr Respekt verdienen jüdische Organisationen wie B'Tselem oder etwa die Handvoll Resereve-Offiziere und Soldaten der Reserve der Geheimdienst-Eliteeinheit 8200, die aufgrund ihrer Erfahrungen im Krieg und der daraus resultierenden Kritik der Politik Israels den Dienst verweigern.

 

Was für ein Mut, was für eine Charakterstärke, in einem von Feinden umgebenen, bedrohten Land, die Stimme für die Rechte dieser vermeintlichen Feinde zu erheben! Wenn wir von Israel als der einzigen Demokratie im Nahen Osten sprechen, dann vor allem, weil es dort Menschen gibt, die so Großartiges leisten - trotz aller Versuche ihrer Regierung, sie daran zu hindern.


  Momente einer Normalität

Ein paar wenige Bilder von früheren Besuchen, aus den Jahren 2012 und 2013, sind dabei, um nicht nur die blanke Zerstörung zu zeigen, sondern ein paar Momente aus dem "normalen" Leben in Gaza-Stadt und Rafah, an der Grenze zu Ägypten, wo jahrelang durch unterirdische Tunnel Waren aller Art, Lebensmittel, Baumate-rial, aber auch Waffen ins abgesperrte Gaza geschmuggelt worden sind.

              Ein paar Gedanken über die Schwierigkeiten, als Journalist mit diesem Krieg umzugehen.


       Gaza: inmitten von Parolen und Tränen




Der Krieg in Gaza ist auch ein Kampf um Worte und die Deutungshoheit über sie. Da ist die Frage: ist Hamas nichts anderes als eine „Terror-organisation“, wie Israels Regierung sagt? Der Nahost-Konflikt stellt uns Journalisten vor ein Dilemma. 


Die palästinensische Seite macht es uns relativ einfach mit ihrer bizarr wirkenden grossmäuligen Rhetorik. Sie spricht in dem aussichtslosen Kampf von „Sieg“ und ist doch noch nicht einmal ein David gegenüber dem gewaltigen militärischen Goliath Israel. Die radikalen Palästinenser fügen den Israelis zwar in der Tat höhere Verluste zu als in allen früheren Waffengängen. Aber Gaza wird nicht zum „Friedhof für israelische Soldaten“, wie Hamas großsprecherisch verkündet. Es ist vielmehr zu einem Friedhof für dreißigmal so viele Palästi-nenser geworden.

 

Geradezu verstörend geschmacklos wirken auf uns Europäer die martialischen Siegesparaden vermummter Hamas- und Islamic Jihad-Kämpfer mit ihrem Jubel über jeden getöteten Israeli. Da will man am liebsten gar nicht mehr hinschauen, geschweige denn sich die Mühe machen, nach dem Sinn solcher Veranstaltungen zu fragen und da-nach, was in diesen Leuten vorgeht. Es sind eben Terroristen.


Die israelische Seite hat es da leichter, unser Ver-ständnis zu finden. Nicht nur, weil Israel, unser "Heiliges Land", seine Menschen mit ihrer Religion und Kultur uns näher sind. Seine Public Relations ist moderner, klüger, einfach so, wie wir es ge-wohnt sind. Israels (damaliger) Premierminister Benjamin Netanyahu - in den USA aufgewachsen und Absolvent der bedeutendsten Elitehochschu-len Amerikas - ist ganz der Typ westlicher Polit-Profi. Er und sein Pressesprecher verstehen es blind, keinen Satz von sich zu geben, in dem nicht mindestens einmal Begriffe vorkommen wie: „Israels Recht auf Selbstverteidigung“, „Hamas-Terroristen“, „Sicherheit für Israel“ oder „die Hamas benutzt menschliche Schutzschilde“. Wenn sie nicht gerade den Konflikt mit den Palästinen-sern um das Land totschweigen und aus weit-gehend taktischen Gründen den Iran zum Haupt-problem für die Sicherheit Israels hochstilisieren.


Als um Wahrheit und Fairness bemühter Journalist bereiten einem die Parolen und einfachen Schuld-zuweisungen beider Seiten, Israels und der Paläs-tinenser Bauchschmerzen.


Unser Dilemma ist: wir stehen, wenn es um sein Existenzrecht geht, hinter Israel, teilen aber nicht unbedingt die Politik und die Methoden Israels sei-

nen palästinensischen „Nachbarn“ gegenüber. Daher haben wir eine Formel gefunden, beiden Seiten irgendwie gerecht zu werden. Wir berichten bei Israel über dessen gute Gründe, bei den Palästinensern über ihre Not und ihr Elend. Als Reporter, als Journalisten bleiben wir damit ausgewogen: der einen Seite die Argumente, der anderen unser Mitleid.


Ein klares Bild der Lage entsteht dabei nicht. Keines, das beiden Seiten, Israelis und Palästinensern, ge-recht würde, beide mit ihren berechtigten Ansprü-chen ernst nimmt als Konfliktparteien, die eine dauerhafte Lösung suchen. Dem stehen schon die gängigen Denk- und Rechtfertigungsmuster samt der dazugehörigen propagandistischen Worthülsen im Weg. Der Verantwortung, diese immer wieder kritisch zu hinterfragen, müssen wir uns als Journalisten stellen.

 

Nehmen wir das Beispiel der israelischen Sprach-regelung von den „Hamas-Terroristen“, der sich Poli-tiker und Medien in aller Welt bedenkenlos an-schließen. Nun ist Hamas in der Tat in vielem was sie tut eine terroristische Vereinigung. Aber sie darauf zu reduzieren, heisst, sie als möglichen Gesprächspart-ner auszuschließen bzw. mit ihr aus der Position des Polizisten wie mit einem Kriminellen zu sprechen. Also de facto, nicht zu verhandeln, sondern lediglich Bedingungen zu stellen. 


Hamas, das ist aber nicht nur der blanke Terrorismus. Hamas ist auch eine politisch-islamistische Bewe-gung, die 2006 demokratische Wahlen in Palästina gewann und unter den ohnmächtigen Palästinensern mit dem bewaffneten Widerstand gegen Israel sogar immer wieder verloren gegangenes Ansehen zurück-zugewinnen vermag. Das macht sie nicht besser, aber doch zu mehr als nur einer dahergelaufenen „Bande von Terroristen“.

 

Beispiele aus der jüngeren Geschichte zeigen, wie kurzsichtig so eine Banalisierung ist. Auch die irische „IRA“ war für die britische Regierung und die USA eine Terrororganisation. Aber trotzdem auch ein Ge-sprächspartner, und in zähen Verhandlungen gelang es Ameri-kanern und Briten, einen bisher dauerhaften Frieden mit der IRA zu schliessen. 


Die heute als gemäßigt geltende PLO im palästinensi-schen Westjordanland, die mit Israel in Sicherheitsfra-gen zusammenarbeitet, war früher ein terroristisches Schreckgespenst. Und auch der ehemalige israelische Ministerpräsident Menachem Begin war ein Terrorist, der Sprengstoffanschläge gegen britische Soldaten und arabische Zivilisten verübte und an der Ent-führung und Ermordung britischer Soldaten beteiligt war. Ein makabres Detail aus der schon langen Geschichte dieses Konflikts, bedenkt man die Angst der Israelis heute, radikale Palästinenser könnten einen ihrer Soldaten entführen.






Noch ein Begriff muss in diesem Zusammen-hang genauer betrachtet werden: die „mensch-lichen Schutzschilde“, als die die Hamas-Terroristen die Bevölkerung Gazas missbrau-chen. Auch dieser Vorwurf ist nicht grundlos. Aber seine gebetsmühlenartige Wiederholung durch die israelische Regierung kann nicht über einen wichtigen Aspekt hinwegtäuschen: Es gehören immer zwei dazu: derjenige, der sich hinter Zivilisten versteckt, und der, der dann eben auf beide, Hamas-Kämpfer und Zivilisten, schießt. Der grosse Blutzoll der palästinensi-schen Zivilbevölkerung und die bei weitem nicht so "chirurgischen" Angriffe des israelischen Militärs sind ein trauriger Beleg dafür. (Auch Israel spart und setzt bei "normalem" Beschuss häufig stärker streuende Artillerie statt extrem teurer Präzisionsgeschosse ein.) 

 

Die Tatsache, dass die Hamas die Tunnel, um ihre Kämpfer nach nach Israel einzuschleusen, nicht von den frei einsehbaren offenen Flächen Gazas aus, also unter den Augen der israelischen Über-wachungs- und Kampfdrohnen gräbt, sondern im Schutz von Gebäuden, neben Schulen und Kran-kenhäusern, verwundert kaum. Auch hier fragt sich allerdings, ob sich daraus das Recht ableiten lässt, zehntausende von Bewohnern Gazas auf-zufordern, ihre Häuser, ja ganze Stadtviertel zu verlassen, um diese dann zu zerstören.

 

Es ist nicht leicht, mit "Terroristen" zu ver-handeln, wenn man gleichzeitig das Ziel ihrer Raketen und Anschläge ist. In Israel sieht man in den Angriffen radikaler Palästinenser nur den Beweis ihres unversöhnlichen abgrundtiefen Hasses auf „die Juden“. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Die verbale und gewalttätige Radikalität der Hamas lässt sich kaum denken ohne das Gefühl tiefer Hilflosigkeit und furcht-barer, ohnmächtiger Wut über Unrecht und ständige Demütigungen, die Palästinenser von israelischer Seite erfahren. Darin "schwimmt" Hamas.


Israelis wie Palästinenser haben letztlich keine andere Wahl, sie müssen lernen, über diesen jahr-zehntelangen blutigen Schatten zu springen und sich gegenseitig zu akzeptieren: die Existenz des Staates Israel ebenso, wie das Existenzrecht des palästinensischen Volkes in einem eigenen, unab-hängigen Staat. Ohne die prinzipielle An-erkennung der Rechte des jeweils anderen wird nie Frieden herrschen, in Israel ebensowenig wie um Israel herum. Die Maximalforderungen - die "Zerstörung Israels" auf der einen, ebenso wie der Anspruch: "Palästina hat es nie gegeben und wird es auch nie geben" auf der anderen Seite -, sie sind beide völlig unakzeptabel.




Gaza 2024



im Blick von Pressephotographen:


Reuters-Photograph Abdul Saboor aus London


                                                                                                                                                                                                Photo: Abdul Saboor/Reuters




Es gibt so viel Grausamkeit und Leid, dessen Bilder notgedrungen die Titelseiten der Zeitungen und Magazine füllen. Immer wieder wird - zu Recht - ein besonders ausdruckstarkes davon "Pressefoto des Jahres". Ich weiß nicht, was alles noch in diesem Jahr passieren wird. Aber wenn ich ausnahmsweise einmal ein positives Bild wählen dürfte, dann wäre es das Photo dieser jungen Demonstrantin, die im strömenden Regen von London ihre Stimme und ihren Arm mit der Fahne Palästinas erhebt, für die Rechte der Menschen in Gaza/Palästina, in Würde zu leben und nicht massakriert zu werden.


Dies ist - bis auf weiteres - mein Bild des Jahres.






Reuters-Photograph Mohammed Salem aus Gaza


Photo: Mohammed Salem/Reuters



Inas Abu Maamar hält die Leiche ihrer fünfjährigen Nichte in den Armen, getötet vom israelischen Militär bei einem Angriff auf ein Wohnviertel in Khan Yunis im Gazastreifen im Oktober 2023.


Wir kennen ihren Namen nur, weil dieses Bild des palästinensischen Photographen Mohammed Salem der Agentur Reuters als Pressephoto des Jahres prämiert wurde. Ein Bild, dessen minimalistische Konzentration auf zwei ineinander verschlungene verhüllte Gestalten den Krieg einfühlsamer darstellt als die vielen Trümmerlandschaften, in die Israel Gaza verwandelt.


Es steht in seiner ruhigen anonymen Trauer scheinbar im Gegensatz zum Tod der unglaublichen Zahl zehntausender Frauen, Männer und Kinder, die innerhalb nur weniger Wochen getötet wurden. Wir sehen sie in den Nachrichtensendungen in Form von blauen Plastiksäcken, die in Massengräber gelegt werden, weil keine Zeit und kein Ort bleibt für ein respektvolles Begräbnis so vieler Toter. 


Das Photo Mohammed Salems zeigt uns die tausendfache Trauer in Gaza in der Art eines Bildhauers: als abstrakte Gestalt, verhüllt und anonym - wie die unzähligen, namenlosen Opfer in ihren blauen Palstiksäcken in der aufgewühlten Erde Gazas.





Ein weiterer palästinensischer Photograph:

Time Magazine zählt Motaz Azaiza zu seinen

"The 100 Most Influential People of 2024"


For 108 days, Motaz Azaiza acted as the world’s eyes and ears in his native Gaza. Armed with a camera and a flak jacket marked “PRESS,” the 25-year-old Palestinian photo-grapher spent nearly four months docu-menting life under Israeli bombardment: fami-lies displaced from homes, women mourning loved ones, a man trapped beneath the rubble. His images offered a glimpse into Gaza that few in the international press — which has been all but barred from accessing the Strip — could rival. He did so at great risk: At least 95 journalists have been killed in Gaza since Oct. 7, in what has been the deadliest period for the press since the Committee to Protect Journalists began tracking fatalities in 1992. Dozens more have been injured or arrested. Since evacuating Gaza in January, Azaiza’s role has shifted to raising awareness of the crisis — and to calling for international intervention. “What is happening in Gaza is not content for you,” he said. “We are not telling you what is happening ... for your likes or views or shares. No, we are waiting for you to act. We need to stop this war.”




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